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Aktuelles - Details

Nachdenklicher Abend: Meşale Tolu las am Gymnasium an der Heinzenwies

Auf Einladung des Idar-Obersteiner Kulturvereins „Die Schnecke“ besuchte Meşale Tolu in der letzten Woche die Stadt. Am Abend las sie in der Aula des Gymnasiums an der Heinzenwies aus ihrem Buch „Mein Sohn bleibt bei mir!“: Als politische Geisel in türkischer Haft – und warum es noch nicht zu Ende ist. Ein Abend, der zum Nachdenken anregte. Meşale Tolu, die 1984 geboren wurde und in Ulm aufwuchs, ist deutsche Journalistin und Übersetzerin mit kurdischer Herkunft. 2007 bekam sie die deutsche Staatsbürgerschaft und legte zugleich die türkische ab. Im April 2017 wurde sie in Istanbul, wo sie zu diesem Zeitpunkt arbeitete und mit Ehemann und Sohn lebte, im Rahmen ihrer Pressetätigkeit von einer türkischen Antiterroreinheit als „Terroristin“ verhaftet. Als Hausherr begrüßte zunächst der kommissarische Schulleiter Frank Huck Meşale Tolu und die anwesenden Gäste, bevor dann der Vorsitzende der „Schnecke“ und ehemalige Landrat Axel Redmer das Wort ergriff und zur Lesung überleitete. Frau Tolu begrüßte die Gäste und wunderte sich über den regen Zuspruch, wo sie doch am Mittag sehr erstaunt war, in der Stadt Idar-Oberstein keine Menschen gesehen zu haben. Bereits hier wurde klar, dass Frau Tolu eine humorvolle Frau ist, die sich nicht hat brechen lassen. Dann begann die Lesung und über eine Stunde hörte man in der großen Aula ausschließlich Frau Tolus Stimme, die mit ihren Worten alle fesselte. Viele saßen da mit offenen Mündern, erschrockenen und ungläubigen Blicken und auch der ein oder anderen Träne im Auge. Die Journalistin, die immer wieder interessant zwischen Passagen aus dem Buch und ihren Erzählungen wechselte, brachte Unglaubliches, nur schwer Vorstellbares zu Gehör. Von der Festnahme ihres Mannes, dem Journalisten Suat Çorlu, ihrer eigenen Festnahme vor den Augen ihres kleinen Sohnes und der Tortur, die sie in den folgenden Monaten erleiden musste. Sie erzählte von maskierten und brutal handelten Männern bei der Verhaftung, der Trennung ihres Sohnes Serkan, von ersten Verhören, Erpressungen, Erniedrigungen. Sie berichtete über die unmenschlichen Zuständen in verschiedenen Zellen in die sie gesperrt wurde, von entwürdigenden Nacktdurchsuchungen und absurden Vorwürfen. So warf man ihr die Mitgliedschaft in einer terroristischen

Vereinigung und Verbreitung von Terrorpropaganda vor. Für sie gab es zunächst keinerlei Informationen, keine Erlaubnis jeglicher Kontaktaufnahme zur Außenwelt. Man konnte bei der Lesung ihre schlimmsten Gefühle nachvollziehen, die vor allem durch die Trennung ihres Sohnes entstanden, den sie dann nach einigen Wochen zu sich ins Gefängnis nahm. Serkan hatte dann aber mit gerade mal drei Jahren, nach über fünf Monaten im Gefängnis, selbst den Wunsch „wieder echte Gummibärchen, Pizza und Hamburger“ essen zu können und keine verschlossenen Türen mehr erleben zu müssen. Meşale Tolu beschrieb das traurige Gefühl einer Mutter, wenn die Tante plötzlich zur Hauptbezugsperson des eigenen Kindes wird. Sie berichtete aber auch von der wieder gefundenen Hoffnung, die sie schon aufgegeben hatte. Hoffnung vor allem entstanden durch den Zusammenhalt der vielen weiblichen politisch Gefangenen in „B6“, ihrer Zelle. Wie sie Weggefährtinnen wurden, Freundinnen, wie liebevoll und einfallsreich ihr Sohn von diesen tapferen Frauen umsorgt wurde. Es gab unglaubwürdige Schauprozesse und Verhöre. Dann doch der Tag der absurden Wendungen in ihrem Prozess, als sie freikam und dann von der Terroreinheit aus dem Gefängnis entführt wurde. Martin Erdmann, der deutsche Botschafter in der Türkei, sei „ihr Held“, da er sich auch weit über seine Aufgabe hinweg für sie eingesetzt habe und zu guter Letzt nicht aufgehört habe die entführte Journalistin in ganz Istanbul zu suchen und zu befreien. In der Pause drängten sich viele Besucher um den Tisch, an dem die Buchhandlung Schulz-Ebrecht das Buch verkaufte. Frau Tolu saß an diesem Tisch und signierte auf Wunsch alle Bücher. Bereits hier stand sie vielen Rede und Antwort, hatte für jeden ein nettes Wort oder erzählte von sich aus Details. In der anschließenden Diskussions- bzw. Fragerunde gab es die unterschiedlichsten Fragen. Vom Interesse am persönlichen Zustand, dem Befinden des Sohnes und der Familie bis hin zu politischen Fragen, die Erdoğans Regime, die Rolle der EU, die türkische Justiz und die Wirtschaft betrafen. Zu jeder Frage gab Meşale Tolu ausführlich Auskunft, diskutierte und untermauerte ihre klare Meinung mit Beispielen und differenzierten Begründungen.

Teile des Buches hier zu zitieren oder Erzählungen würden zu weit führen und es wäre schwer, Anfang und Ende zu finden. Deshalb gibt es eine klare Empfehlung dieses Buch zu kaufen, sich im Internet über die Geschichte und die aktuelle Situation zu informieren. Über Zustände bei der türkischen Polizei und Justiz, um Frau Tolus Kampf um Freiheit für viele und die Pressefreiheit, über eine Frau, die sich nicht hat brechen oder erpressen lassen. Bemerkenswert war, dass viele Schüler und Schülerinnen des Gymnasiums diese Veranstaltung besuchten, was auch Herr Redmer lobend erwähnte, und sich sogar an der Diskussionsrunde beteiligten. Immerhin ist das Heinzenwies-Gymnasium seit diesem Jahr „Schule mit Courage – Schule ohne Rassismus“ und hier bewiesen die Schülerinnen und Schüler, dass sie dies auch leben und es nicht nur eine Floskel auf einem Schild ist. Ein Abend, der schwer in Worte zu fassen ist. Vielleicht treffen es Worte wie „beeindruckend“, „erschüttend“, „unglaublich“, aber auch Mut und Hoffnung weckend. Vor allem aber ein Abend, der zum Nachdenken anregt und wieder einmal zeigt, dass man „aufstehen“ muss für die Demokratie und gegen Rassismus und Hetze.

(Anne Kröninger)