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Tobias Elsäßer zu Gast an der Heinzenwies
Am 14. Mai 2018 besuchte der Stuttgarter Autor Tobias Elsäßer im Rahmen der Kinder- und Jugendlesewoche unsere Schule, um den Schülerinnen und Schülern der 8. Klassen sowie der Klasse 9a aus seinen Bücher vorzulesen und aus seinem bewegten Leben zu erzählen.
Gleich zu Beginn machte er den Kindern Mut, dass man durchaus ein erfolgreicher Schriftsteller werden kann, obwohl man in der Schule keine guten Noten im Fach Deutsch hat und nicht ständig ein Buch in der Hand hat, ja, vielleicht sogar, wenn die eigene Rechtschreibung grottig ist. So war es nämlich bei ihm selbst. Erst später hat er das Schreiben für sich entdeckt, oftmals auch, um Sachverhalte, die ihn beschäftigten, weiterzuerzählen und zu verarbeiten. So ist wohl auch die thematische Breite seiner bisher erschienenen Romane zu erklären. Für die Heinzenwiesler las er aus insgesamt drei sehr unterschiedlichen Büchern.
Als Erstes las er aus seinem Roman „One – Die einzige Chance“, der eigentlich schon fast ein Wirtschafts- und Politthriller ist. Die Geschichte wird aus zwei verschiedenen Perspektiven erzählt. Da ist einmal der 18-jährige Samuel Pinaz, der Sohn eines sehr erfolgreichen Mathematikers, der gerade in Hongkong sein Abitur gemacht hat. Da er sich mit seinem Vater nicht wirklich gut versteht (seine Bezugsperson Nummer eins ist die spanische Nanny), will er nach dem Abitur über Deutschland, wo er geboren wurde, nach London zu seiner Mutter reisen, um dort dann BWL zu studieren. Und dann ist da noch Kayan, der Auftragskiller, dessen letzter Job es ist, sieben Menschen zu töten, bevor er sich endlich zur Ruhe setzt, um in seinem anderen Leben liebender Ehemann und Vater sowie Restaurantbesitzer zu sein. Einer dieser Menschen ist Samuels Vater. Als Samuel schließlich am Frankfurter Flughafen mit seinem Kater (ja wirklich!) landet, ist in Deutschland die Hölle los: Das öffentliche Leben ist nahezu lahm gelegt. Es fahren weder Busse noch Bahnen, das Handynetz ist zusammengebrochen, das Internet, ja die komplette Stromversorgung funktionieren nicht und Benzin ist plötzlich Mangelware. Außerdem kommt es überall zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und in der Hauptsache jungen Demonstranten, die das deutsche Finanzsystem und die Regierung in die Knie zwingen wollen. In diesem Durcheinander wird Samuel von Fabienne, einem Mitglied der für das Chaos verantwortlichen Organisation, entführt (quasi ohne es zu merken). Damit wollen sie Samuels Vater zur Kooperation zwingen. Als immer weitere Morde geschehen und schließlich herauskommt, dass auch Samuels Vater auf der Abschussliste steht, beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. Dieses Buch ist definitiv ein Muss für politisch und wirtschaftlich Interessierte, aber der Leser sollte auch nicht zu zart besaitet sein, denn es geht schon recht heftig und gewaltsam zu.
In seinem Erstlingswerk „Wie ich einmal fast berühmt wurde“ reflektiert Tobias Elsäßer zum Teil autobiographisch (nach eigenen Aussagen zu circa 85%) seine Zeit als Mitglied einer Casting-Boygroup in den 90ern, in die er eher zufällig und sehr zum Missfallen seines älteren Bruders reingestolpert ist – trotz seines Gesichts (O-Ton!). Er beschreibt darin das berechnende und verlogene System der Popindustrie, wie junge Künstler ausgebeutet und durch knallharte Verträge mundtot gemacht werden. Es zeigt sich als oberflächliches System, in dem Alkohol und Drogen eine große Rolle spielen. Hier nimmt Herr Elsäßer Bezug auf den erst kürzlich verstorbenen DJ und Produzenten Avici und erklärt den Schülerinnen und Schülern eindringlich, warum der Klub 27 im Musikgeschäft ständig wächst. Nichtsdestotrotz ist der Roman mit einer großen Portion Humor und Ironie gewürzt. – Prädikat empfehlenswert für alle Fans von Casting-Shows wie DSDS, Voice of Germany oder auch Germany’s Next Topmodel. Vorsicht: Das Buch könnte tatsächliche einen heilenden Effekt haben. Als Mitglied einer Casting Boyband verdienst man nämlich tatsächlich ganze 7 Cent pro gespieltem Lied!
Zuletzt widmete sich Tobias Elsäßer einem Thema, das in unserer Gesellschaft gern totgeschwiegen wird: dem Suizid von Jugendlichen, und das, obwohl Selbstmord die zweithäufigste Todesursache bei Heranwachsenden ist. In seinem Roman „Für Niemand“ geht es um drei sehr verschiedene Jugendliche, die aus unterschiedlichen Gründen Selbstmord begehen wolle: Whisper, Sailor und Train. Sie kommen in einem geheimen Chat zusammen, um ihr Ableben zu planen. Doch es gibt einen heimlichen Mitleser: Yoshua, ein Computer-Nerd, hat ein Programm entwickelt, das auch geschlossene Chaträume knacken kann. Nachdem er mit Schrecken bemerkt hat, dass diese Drei es wirklich ernst meinen, will er den gemeinsamen Selbstmord verhindern. Das Spannende an diesem Buch ist, dass sich die Geschichten hinter den vier Hauptfiguren erst nach und nach wie bei einem Puzzle zusammensetzen. Als Leser ergibt sich am Ende ein Bild, in dem alle vier Schicksale miteinander verwoben sind. Zuletzt muss jeder selbst entscheiden, wofür es sich zu leben lohnt – oder zu sterben. Ein sehr ernsthaftes Buch, ohne erhobenen Zeigefinger und dabei doch einfühlsam, ohne kitschig zu sein.
Wir danken Herrn Elsäßer für diesen facettenreichen Vormittag in unserer Mitte und hoffen, dass er auch weiterhin spannende und unterhaltsame Bücher schreibt. (Und dass er die Abgabe-Deadline seines neuesten Buches doch noch einhalten konnte.) Wieviele unserer Schülerinnen und Schler den Weg als Autor bzw. Autorin einschlagen werden, bleibt offen, denn mit dem Schreiben reich zu werden, ist nicht sehr realistisch, wenn man als Schriftsteller pro verkauftem Hardcover Buch nur 1,60€ verdient.
Alle Romane, aus denen Tobias Elsäßer gelesen hat, stehen auch in unserer Schulbibliothek und warten auf interessierte Köpfe.